Accords nouveaux

François-Pierre Goy & Andreas Schlegel

John Dowland, geboren nach eigenen Angaben wohl 1562/63, begraben am 20. Februar 1626, komponierte, adaptierte, zitierte und improvisierte Musik für verschiedenste Besetzungen. Für sein 600. Todesjahr sollte endlich ein Werkverzeichnis entstehen, das den verifizierten und / oder vermuteten Anteil an Musik, die mit ihm in Verbindung gebracht wird, deklariert.

Was ist so schwierig am Erstellen eines DowlandWV?

Diana Poultons bahnbrechende Edition "The Collectd Lute Music of John Dowland", die 1974 erschien und in zwei jeweils erweiterten Neuauflagen 1978 und 1995 vorliegt, umfasst alle Stücke für Laute solo, die in Quellen mit Dowland in Verbindung gebracht werden. Darunter befinden sich auch Falschzuschreibungen und offensichtlich korrumpierte Fassungen. Diana Poulton war sich dieser Tatsache sehr bewusst und hat sie in der Edition auch deklariert und vor allem in ihrem 1972 Buch "John Dowland" sehr differenzierte Darstellungen zur Überlieferung einzelner Stücke vorgelegt. John Wards "A Dowland Miscellany" im Journal of the Lute Society of America, Vol. X (1977) diskutiert eine Vielzahl der problematischen Zuschreibungsfragen.
Somit war sich diese Generation von Muskforschern und Lautenisten der Problematik sehr wohl bewusst.

2020 publizierte Dawn Grapes ihr Verzeichnis "John Dowland. A Research and Information Guide", in denen die Poulton-Nummern als Basis der Werkliste verwendet wurde.

Die Herangehensweise vieler heutiger MusikerInnen lässt die Differenzierung, mit denen die vorhergehende Forscher-Generation lebte, eher beiseite, so dass die Differenzierung nicht mehr automatisch erwartet werden kann. Ebenso ist es klar, dass die Poulton-Nummern, die von Grapes weiterbenutzt wurden, wohl über Jahrzehnte Stadard bleiben werden. Deshalb muss Dowlands Anteil an der Musik, die mit ihm in Verbindung gebracht wird, bereits im Kürzel eines zukünftigen Werkverzeichnisses erkennbar sein.

Zudem haben sich die Welt der Musikwissenschaft und die Welt der ab Tabulatur spielenden Lautenisten in den letzten Jahrzehnten eher voneinander entfernt. Die bahnbrechende Neuedition der Werke Dowlands von John Robinson (primär der Solo-Werke) ist in Grapes' Katalog nicht aufgenommen. Robinson hat zwischen 2010 und 2018 nicht weniger als 540 Überlieferungen ediert und somit den Grundstein für eine Gesamtedition der Überlieferungen – statt einer Edition der Werke – geliefert.

Damit steht Robinson für die seit den 1990er-Jahren wachsenden Erkenntnis, dass es für viele Werke des 16./17. Jahrhunderts keinen "Urtext" geben kann, sondern dass sich die Musik in einem ständigen Adaptierungsprozess befindet und die Niederschriften (und auch ein Grossteil der Drucke) nur eine Momentaufnahme einer musikalischen Praxis im Umgang mit einem Stück darstellen. Deshalb ist die Kenntnis des ganzen Überlieferungsspektrums und das Herausdestillierens des "Formulierungsspielraumes" damaliger qualitativ guter Musiker für heutige Neuaufführungen grundlegend – aber auch ein mühsamer und zeitaufwändiger Prozess.

Bei meinen Vorbereitungen für das Symposium "John Dowland's activities on the Continent", das vom 22. bis 24. April 2022 an der Hochschule der Künste Bremen stattgefunden hat, wurde mir dieser Graben zwischen Musikwissenschaft und dem Wissen in der Lauten-Gemeinschaft sehr bewusst und ich habe deshalb mein Thema "Dowland and France – searching for traces" mangels Zeit weniger als erhofft bearbeitet und stattdessen versucht, die Grundlage für ein zukünftges DowlandWV zu legen, indem ich die sehr zerstreut publizierten Editionen von Robinson systematisch katalogisiert und Grapes' Kataloge ihrer "Primary Sources" und "Works List" in einer relationalen Datenbank vereint und um neue Erkenntnisse ergänzt habe.

In der jetzigen Phase geht es darum, ein Team von Fachleuten zu bilden, das diese Datenbank, die sicherlich diverse Fehler enthält, kontrolliert und vor allem auch um entsprechende Erkenntnisse zu den einzelnen Quellen und Stücken ergänzt. Personen, die hier Arbeit übernehmen können und möchten, melden sich bitte bei mir.

Das Ziel ist es, auf 2026 die Datenbank revidiert und auf den neusten Erkenntnisstand gesetzt zu haben und ein offizielles DowlandWV zu installieren.

Darüberhinaus soll die Struktur gelegt werden, um neues Wissen zu Dowland von Sachverständigen begutachten und nach deren positiver Beurteilung in die Datenbank und das DowlandWV einfliessen zu lassen.